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Kleine Ursache mit großer Wirkung – Arbeitsrechtler Manfred Becker erklärt, wann aus einem „Nein“ eine Arbeitsverweigerung wird

Frau Meier arbeitet in der Buchhaltung eines großen Unternehmen. Weil sie ihre Tochter pünktlich aus der Kita abholen muss, verlässt sie ihr Büro jeden Tag exakt um 16.30 Uhr. Aufwendige oder zeitintensive Projekte, die zu eventuellen Überstunden führen könnten, lehnt sie ab. Ihre Kollegen findet dieses Verhalten unkollegial und beschweren sich beim Chef. Aber ist das kategorische „Nein“ von Frau Meier tatsächlich Arbeitsverweigerung? Und welche Konsequenzen kann es nach sich ziehen?

Jeder Arbeitnehmer, der einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, hat auch die Pflicht, zu arbeiten. Welchen Arbeiten er im Einzelnen leisten muss, ergibt sich aus dem Wortlaut des Arbeitsvertrages – und den Weisungen des Arbeitgebers, der aufgrund seines Direktionsrechts die Tätigkeiten näher bestimmen kann. Diese Regel ist einfach und unmissverständlich. „Aber trotzdem entsteht darüber häufig Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“, weiß Manfred Becker von der Bonner Kanzlei Eimer Heuschmid Mehle (EHM).

Grundsätzlich gilt: Ist der Arbeitnehmer laut Vertrag oder aufgrund des Weisungsrechts verpflichtet, die Arbeiten auszuführen, handelt es sich um eine Arbeitsverweigerung. Stellt sich heraus, dass die Anweisung nicht im Arbeitsvertrag steht und es auch keine Anweisung des Arbeitgebers gibt, liegt keine Arbeitsverweigerung vor. Im Fall von Frau Meier bedeute dies: Wenn in ihrem Arbeitsvertrag nur die Wochenarbeitszeit genannt wird und es keine konkrete Klausel zu Überstunden gibt, könnte sie pünktlich Feierabend machen. Auch wenn dies unkollegial erscheint. Arbeitsrechtler Becker erklärt: „Zeitaufwendige Projekte, die auf Dauer mit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht in Einklang zu bringen sind, können abgelehnt werden.“

Sollte Frau Meier allerdings trotz Aufforderung regelmäßig „Nein“ zu aufwendigen Projekten sagen, weil sie Überstunden befürchtet, dann geht sie ein erhebliches Risiko ein. Ihr Chef wird ihr vermutlich wegen Arbeitsverweigerung eine Abmahnung schicken und im Wiederholungsfalle kündigen. Und erst vor dem Arbeitsgericht wird dann die Frage der Arbeitsanweisung „rechtmäßig / rechtswidrig“ geklärt: War die Anweisung rechtswidrig, gilt die Abmahnung nicht, und die Kündigung ist unwirksam. War die Anweisung rechtmäßig, ist auch die Abmahnung rechtmäßig und die Kündigung ist wirksam. „Es hierauf ankommen zu lassen, ist riskant“, meint Anwalt Becker, und empfiehlt, „die Anordnung auszuführen und alsdann gerichtlich überprüfen zu lassen, ob sie rechtmäßig war.“

Was aber ist, wenn Frau Meier leicht erkältet ist und – weil sie ihre Kollegen ja nicht anstecken will – zuhause bleibt? Gilt das als Arbeitsverweigerung? Manfred Becker würde ihr bei einem leichten Schnupfen, der nicht zur Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit führt, raten, lieber ins Büro zu fahren. Denn objektiv betrachtet wäre das Fernbleiben Arbeitsverweigerung: „Abgesehen von den Beweisschwierigkeiten, ob Frau Meier einen leichten oder schweren Schnupfen hat, wäre zunächst eine einschlägige Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung erforderlich.“

Das Gleiche gilt, wenn Frau Meier die Arbeiten eines Kollegen mit übernehmen soll, dies aber verweigert, obwohl die Arbeiten innerhalb der regulären Arbeitszeit möglich sind bzw. zulässigerweise Überstunden angeordnet werden können. Sollte die Buchhalterin aber nach Feierabend, wenn sie schon längst zuhause mit ihrer Tochter spielt, eine WhatsApp-Nachricht ihres Chefs bekommen, dann kann sie ihr Handy einfach ausschalten. Denn Arbeiten, die mit dem Arbeitsvertrag nicht in Einklang zu bringen sind, können verweigert werden. Trotzdem rät Rechtsexperte Manfred Becker auch hier zur Vorsicht, „denn in einer solchen Zuweisung kann gegebenenfalls eine zulässige Versetzung stecken.“

Manfred Becker ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und berät und vertritt sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer.